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verfassungsfeindliche Tendenzen*

[Update: Jakob Augstein hat bei Spon auch etwas darüber geschrieben]

Gerade kocht ja die Geschichte mit der Beobachtung der Partei Die Linke durch den Verfassungsschutz wieder hoch – so weit so langweilig, neu ist das ja nicht.

Seltsam finde ich aber die Begründungen für die Verfassungsfeindlichkeit, so sagte der CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe gegenüber Die Welt**:

Wer den Systemwechsel in Deutschland fordert, über Wege zum Kommunismus schwadroniert und sich mit Diktatoren solidarisiert, darf sich nicht wundern, wenn er vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Im Verfassungsschutzbericht 2010 wird im Anreißertext zur Beschreibung von Die Linke aus einem Parteiprogrammentwurf zitiert, zu diesem heißt es, dass in ihm „grundlegende Veränderungen der Staats- und Gesellschaftsordnung gefordert werden„***:

Wir streben eine sozialistische Gesellschaft an, in der jeder Mensch in Freiheit sein Leben selbst bestimmen kann und dabei solidarisch mit anderen zusammenwirkt. Die Überwindung der Dominanz kapitalistischen Eigentums in der Wirtschaft (…) sind dafür die wichtigsten Grundlagen. (…) Demokratischer Sozialismus (…) zielt auf grundlegende Veränderungen der herrschenden Eigentums-, Verfügungs- und Machtverhältnisse.

Okay, Systemwechsel und Kommunismus sind also verfassungsfeindlich (=böse). Aber was schreibt dazu denn die Verfassung in Form des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland? Definiert wird die staatliche Grundordnung in Artikel 20****, neben dem Artikel 1 das Herz der Verfassung:

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Relevant ist der Absatz 1, dieser besagt, dass der im Grundgesetz festgelegte Staat föderalistisch organisiert ist und den Prinzipien der Demokratie und des Sozialstaats folgt.

Der Systemwechsel nach dem Verfassungsschutz soll wohl die sozialistische Gesellschaft sein, der Gröhe formuliert das noch mit dem Kampfbegriff Kommunismus aus. Nun ist es aber so, dass im Artikel 20 nicht die Ausgestaltung des Demokratieprinzips festgeschrieben wird, _selbstverständlich_ kann ein föderaler, demokratischer und sozialer Staat auch aufgebaut sein auf den politischen und wirtschaftlichen Grundlagen von Sozialismus und Kommunismus. Mit keinem Wort wird auf die Wirtschaftsverfassung eingegangen, die freie Marktwirtschaft wird nicht als Grundlage des Staates Deutschland angesehen.

Lustigerweise sind die im Verfassungsschutzbericht so hervorgehobenen „grundlegenden Veränderungen der herrschenden Eigentumsverhältnisse“ im Grundgesetz vorgesehen, Artikel 15 (der natürlich nicht von der Ewigkeitsklausel geschützt ist und verändert werden könnte) sieht die Vergesellschaftlichung (i.e. Verstaatlichung) und damit Enteignung von Privatbesitz als Möglichkeit vor :)

Noch drei Worte zu Gröhe’s „Solidarisierung mit Diktatoren“: Ein aktueller Fall ist ein Pamphlet*****, welches unter anderem einige Linke-Abgeordnete unterschrieben haben. In diesem wird unter anderem davon geschrieben, dass die USA und NATO einen Angriffskrieg gegen Syrien vorbereiten und dass das Embargo gegen Syrien zu stoppen sei. Die Unterzeichner haben (zu Recht!) reichlich Flak von den Parteikollegen gekriegt, bei anderen kontroversen Solidaritätsaufrufen dürfte das ähnlich gewesen sein. Und – auch auf die Gefahr hin in der Tu-Quoque-Falle zu landen – sind auch andere Parteien nicht frei davon, zumindestens umstrittene Machthaber zu unterstützen. Mitte letzten Jahres war Merkel in Afrika unterwegs, in Angola hat sie Verhandlungen zum Verkauf von Militärschiffen geführt. Angola wiederum ist eigentlich in jeglicher Hinsicht eine Dikatur, die Gewaltenteilung wurde weitestgehend aufgehoben, Freedom House führt das Land als Not Free. Die Lötsch von (ausgerechnet ;)) den Linken kritisierte dies als Rüstungslobbyismus, was vom Gröhe als „skandalöse Unterstellung“ bewertet wurde…

Ob man nun sozialistische Philosophien für erstrebenswert hält oder nicht – außerhalb des Rahmens der Verfassung bewegt sich die Linke damit nicht, und das Prinzip „He may be a bastard, but he’s our bastard.“ findet sich links, rechts und dazwischen.******

*) so beschrieb wohl der Friedrich die Partei im ZDF-Morgenmagazin
**) hab’s Online nicht gefunden, daher zitiert nach RP
***) VS-Bericht 2010, Die Linke ab Seite 154
****) Grundgesetz Artikel 20
*****) Text auf freundschaft-mit-valjevo.de
******) Ich glaube ursprünglich geprägt von Roosevelt, als Einschätzung über den autokratischen Herrscher Trujillo

Von renke

IT-Ratte (oder Systemadministrator), hat nen neues Spielzeug gekriegt und wird die "Genese" des Servers hier bebloggen.

21 ist nur die halbe Wahrheit.