So, zur Bundestagswahl wurde ich jetzt auch eingeladen.
Lotterie statt Wahl finde ich immer noch einen reizvollen Ansatz, es gibt jedoch auch weniger einschneidende Änderungen, welche das politische System meiner Meinung nach zum besseren drehen könnten.
Kern aller Politik in Deutschland sind die Parteien, die laut Grundgesetz „bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken“. Das ist eine Lüge extrem verkürzte Darstellung. Das Wahlsystem ist so angelegt, dass eigentlich nur Listen (= zur Wahl zugelassene Parteien) über die Zweitstimmen die 5 %-Hürde überspringen können und als Fraktion in den Bundestag (oder auch Landtag) einziehen, Einzelkämpfer als Direktkandidaten (Erststimme der jeweiligen Wahlkreise) sind zwar denkbar, aber meines Wissen gab es noch nie einen solchen Fall und selbst wenn es einen solchen gäbe sind die Möglichkeiten sehr eingeschränkt: Erst eine Fraktion (mindestens 5 % der Mitglieder) kann sinnvoll arbeiten. Dadurch sind die Listen deutlich wichtiger als die Direktkandiaten, und die Reihenfolge wird bestimmt durch die Partei und entspricht nur sehr indirekt dem „Volkeswillen“.
Durchwirbeln ließe sich dies durch das Einführen von Kumulieren und Panaschieren nicht nur auf Kommunalebene, damit könnten die Wähler auch in den Parteilisten Präferenzen ausdrücken – damit wären nicht mehr die parteiinternen Abstimmungen das bestimmende Element für Einzug des Kandidaten, sondern wie sich dieser dem Stimmvieh präsentiert. Klar, sowohl die Wahl als auch das Auszählen wird komplizierter: Aber ist es wirklich wichtig, dass um Punkt 18 Uhr Hochrechnungen veröffentlicht werden, die dem Endergebnis fast immer entsprechen? Ist es wirklich ein Problem, wenn die Auszählung mehrere Tage dauert?
Ein anderer Punkt ist der ständige Verstoß gegen die Bundestagsgeschäftsordnung: In dieser heißt es, dass eine Abstimmung nur dann gültig ist, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend ist. Dieser parteiübergreifende Konsens wird damit begründet, dass der Bundestag als Arbeitsparlament angelegt ist und die eigentliche Konsensbildung in den Ausschüssen geschieht, daher seien die Abstimmungen im Parlament nur pro-forma. Ja und? Entweder der Bundestag hält sich an seine eigenen Vorgaben oder ändert diese – mit allen Auswirkungen, die eine solche SOP-Anpassung hätte (Beschlossene Gesetze mit kaum 30 anwesenden Parlamentariern sind für die Außenwirkung natürlich großartig, beim Meldegesetz führte dies zu einem Aufschrei, ist aber auch sonst nicht unüblich. Ich ziehe da Ehrlichkeit [Gesetze dürfen ohne jegliches Quorum beschlossen werden] dem Wischiwaschi-Konsens vor.). An dieser Stelle kommen wieder die Parteien ins Spiel: Dieser Konsens funktioniert nur mit einer rigorosen Fraktionsdisziplin, es wird bestimmt wer wann von welcher Partei zu Abstimmungen erscheint und wo er die Hand zu heben hat. Soviel zur Mitwirkung der Parteien und Unabhängigkeit der Abgeordneten… Aufzubrechen ist dieses Geschäftsordnungsverstoßkartell kaum: Die Beschlussfähigkeit kann wieder nur von Fraktionen (bzw. 5 % der anwesenden Abgeordeneten) angezweifelt werden – und da haben (Überraschung!) wieder die Parteien die Hand drauf.
Lösen lässt sich dieser Knoten kaum, auch Überlegeungen wie massiv in Parteien einzutreten um diese gewissermaßen zu unterwandern scheint mir kaum möglich: Eine solche konzertierte Aktion erfordert einen Organisationsgrad, den ihn im politischen Betrieb, nun ja, nur die Parteien haben. Die Partei, die sich definiert über Transparenz und Ehrlichkeit sind nun die Piraten, vertreten in Fraktionsstärke im Abgeordnetenhaus von Berlin (entspricht den Landtagen der anderen Bundesländer) – die Geschäftsordnung sieht auch einen Beschlussfähigkeit erst ab 50 % anwesender Parlamentarier vor: Ich habe nicht mitgekriegt, dass in Berlin ständig Abstimmungen weggeschossen werden, weil sich eine Partei gegen den widerlichen Konsens stimmt…